Kölns vergessene Rockband - die Geschichte von The Cöln

Wie kam Ende der 70er Jahre New Wave nach Deutschland?

Ganz einfach: Mit „The Cöln“! Vor 40 Jahren war die Band ein „Hidden Champion“ in Deutschland. Mit zwei unveröffentlichten Studio-Alben im Gepäck und einer treuen Fan-Gemeinde imRücken tobten die Musiker damals zwar unermüdlich von Live-Auftritt zu Live-Auftritt, aber der entscheidende Durchbruch wollte nicht gelingen. Dabei erinnern sich auch heute – 40 Jahrespäter – immer noch zahlreiche Zeitgenossen an diese bemerkenswerte Band aus der Dom-Stadt. Sie brachte alles mit, um deutsche Rockgeschichte zu schreiben, hinterließ aber in ihrer knapp dreijährigen Lebenszeit kaum Spuren.

Das wollen wir zum vierzigjährigen Jubiläum der ersten Album-Produktion durch die Veröffentlichung des Gesamtwerks von The Cöln nachholen und der Band einen ihr gebührenden Platz in der Kölner und der deutschen Rockgeschichte zuweisen.

Zeitreise

Schauen wir vierzig Jahre zurück. Die Sowjetunion beginnt eine Großoffensive in Afghanistan, Ronald Reagan wird Präsident der USA, und zahlreiche westliche Staaten boykottieren die Olympischen Spiele in Moskau. Helmut Schmidt gewinnt die Bundestagswahl gegen Franz Josef Strauß, und im Januar 1980 gründet sich die Bundespartei „Die Grünen“. In Köln wird Norbert Burger (SPD) im Oktober zum neuen Oberbürgermeister gewählt, der 1. FC Köln verliert das Pokalfinale gegen Düsseldorf, und am 15. November besucht Papst Johannes Paul II die Stadt am Rhein. Jango Edwards begeistert mit seiner „Clownpower“ 8.000 Fans in der Kölner Sporthalle, Wolfgang Niedecken veröffentlicht „BAP rockt andere kölsche Leeder“, und Jürgen Zeltinger startet mit „De Plaat im Roxy & Bunker live“ durch. Für die Musikwelt war 1980 allerdings auch ein trauriges Jahr: John Lennon wird im Dezember erschossen, der britische Schlagzeuger John Bonham (Led Zeppelin) wird tot aufgefunden, Bob Marley gibt ein Jahr vor seinem Krebstod sein letztes Konzert, und Bon Scott (AC/DC) stirbt im Alter von nur 33 Jahren.

Eine neue Musikbewegung

Ende der 70er Jahre klatschte von England und New York aus eine neue Musikwelle in die behüteten Wohn- und Jugendzimmer der Republik. New Wave – tanzbar, überdreht, bunt, schräg, schrill und laut – war in Deutschland angekommen und bescherte uns Bands wie Talking Heads, Joy Division, Siouxsie and the Banshees, The Cars, B52’s, XTC, Ultravox, Patti Smith, Blondie, Joe Jackson oder Elvis Costello & The Attractions. Diese willkürliche Aufzählung kratzt freilich nur an der Oberfläche.

Was zunächst noch gleichbedeutend mit Punk war, wurde dann Anfang der 80er Jahre eindeutiger und massentauglicher: New Wave wurde weniger aggressiv und rückte mit eingängigen Sounds und zahlreichen Chart Hits ihrer Protagonisten in den Vordergrund, während sich allmählich die Stilrichtungen in Dark Wave (Joy Division oder The Cure), den frühen Synthie-Pop (Human League oder Duran Duran) oder Post-Punk (The Jam oder The Clash) differenzierten. Einige Bands wie The Police wurden schlichtweg internationale Stars.

New Wave war auch für die musikalische Entwicklung in Deutschland wichtig und einflussreich. Die Szene um Clubs wie Ratinger Hof in Düsseldorf (DAF, Fehlfarben, S.Y.P.H.), das SO36 in Berlin (Einstürzende Neubauten, Neonbabies) und auch die Hagener Musik-Szene um den heutigen BMG-Chef Hartwig Masuch (Extrabreit, Grobschnitt, The Stripes, Nena und The Ramblers) arbeitete sich an dieser Weiterentwicklung des Punks konsequent ab.

In Köln konzentrierte sich die Szene zu dieser Zeit auf eine Handvoll angesagter Konzertlocations. Im Basement an der Herwarthstraße in den Gewölben unter der Christuskirche wurde in den 1970er und 80er Jahren Musikgeschichte geschrieben. Eine feste Institution war und ist bis heute das BLUE SHELL (hier wurde u.a. das Musikmagazin Spex erfunden). In seiner unmittelbaren Nachbarschaft liegt das schlauchartige LUXOR, in dem trotz seiner Kapazität von nur 450 Besuchern spätere Superstars wie R.E.M., Lenny Kravitz, Sheryl Crow, Blur oder Oasis auftraten. (In guter Erinnerung bleiben auch die legendären Weihnachtskonzerte von Herman Brood & His Wild Romance.) Und neben den großen Kölner Veranstaltungshallen wie Stadtgarten und Sartory-Säle in der Innenstadt gab es in der Innenstadt eine Vielzahl attraktiver Clubs wie Blackbird oder Roxy, in denen auch (New Wave) Bands auftraten, die am Anfang ihrer Karriere standen.

Die Anfänge

Auf diesem Nährboden wuchs Ende der 70er die Kölner New Wave-Band The Cöln heran. Aber der Reihe nach.

Das Aufkommen des New Wave beendete auch die Zeit des Progressive Rock, einer musikalischen Stilrichtung der Siebziger, die durch Bands wie Yes, Supertramp oder die frühen Genesis geprägt war. Und auch die Musiker von The Cöln durchliefen unter dem früheren Bandnamen „Eozän“ diese Stilrichtung. Lange, komplexe, kunstfertig verschachtelte Themen und Motive prägten die frühen Werke: eine Zeit der musikalischen Orientierung, aber auch der Professionalisierung als Musiker. Doch dieses hoch komplexe Repertoire war live kaum umsetzbar. 1978 wurden die Stücke dann kürzer, einprägsamer und rockiger.

Der sich allmählich abzeichnende Übergang von Progressive Rock zu den ersten Gehversuchen als New Wave-Band lässt sich im Frühwerk am Ende von CD 1 sehr gut nachvollziehen. In Stücken des klassischen The Cöln-Repertoires wie Lyin‘ oder Draggin´ My Cares finden sich noch Singer-Songwriter-Anklänge (Mr. Average Man), Band-Improvisationen (Josie) und eine auffällige Stilvielfalt in den Kompositionen (Dig That Sound versus Here Comes My Wife), die in Summe aber recht identitätslos wirken.

Das Projekt Eozän wurde Ende 1978 nach einem denkwürdigen Konzertbesuch der Bandmitglieder einstimmig zu Grabe getragen. In der Dortmunder Westfalenhalle traten nicht nur Nina Hagen mit ihrer Band auf – im Vorprogramm spielte auch die britisch-niederländische „Sunny Jim Band“ (noch so eine fast vergessene New Wave-Perle) und raubte dem Publikum wie auch dem Eozän-Ensemble den Atem. Nach diesem Abend war allen klar: Dieser New-Wave-Sound ist die Zukunft, wir stehen vor einem radikalen Schnitt – nicht nur, was die Haarlänge betrifft.

Dieser entscheidende Wechsel auf straighte, kurze Songs mit klaren und prägenden Riffs veränderte auch die Rollen in der Band: Die Gründungsmitglieder Ralf Felder (Schlagzeug) und Andreas Merkel (Bass und Namensgeber der Band) sowie Wolfgang Mertens als erster Neuzugang an den Keyboards hatten bislang komponiert, gesungen und die Songs aus den gemeinsamen Improvisationen entwickelt. Doch nach dem Erlebnis in der Westfalenhalle sprühte der im Frühjahr 1977 zur Band gestoßene Gitarrist und Komponist Dirk Schlömer geradezu vor musikalischen Ideen. Er begann, den künftigen Stil der Band mit zehn bis zwölf neuen Songs in wenigen Monaten nachhaltig zu prägen. Aber nicht nur die Kompositionen hoben die Band auf ein neues musikalisches Niveau. Mit Carsten Seim stieß Ende 1977 ein charismatischer Sänger zur Band. Der Anglistik-Student veredelte die Songs mit seinen geschliffenen Lyrics. Gemeinsam entstand jetzt das neue Band-Projekt: The Cöln.

Temporeiche Pop-/Rocksongs und melodiöse Balladen – eingebettet in ambitionierte Arrangements mit einer bestechenden Mischung aus Emotionalität und musikalischer Präzision – stehen fortan auf dem begeisternden Bühnen-Programm.

The Cöln war immer eine kraftvolle und professionelle Live-Band gewesen. Die Erfahrungen aus der Zeit der anspruchsvollen Progressive Rock-Phase zahlten sich aus. Die Gigs wurden mitreißender, der Publikumszuspruch wuchs stetig. Die Live-Aufnahme des Konzerts im Kölner Club „Blackbird“ auf CD 2 dokumentiert, wie präzise die Band ihr Repertoire präsentierte, wie sicher und messerscharf die Breaks waren – und das bei Stücken mit atemberaubender Geschwindigkeit wie etwa beim Konzert-Höhepunkt Actor For Your Pleasure, dem „Midnight Rambler“ von The Cöln. Unvergessen auch, wie im Sommer 1980 der Rockstar Herman Brood bei einem gemeinsamen Konzert in Osnabrück der Band drohte, bei weiteren Zugaben „den Stecker“ zu ziehen. The Cöln hatten gerade die Halle elektrisiert, und das Publikum ließ sich nicht beruhigen.

Von der Bühne ins Studio

Im März 1980 fanden dann unter Obhut der Hagener Musik-Manager Wiehagen & Masuch die ersten professionellen Studioaufnahmen von The Cöln statt. Unter der Regie von Manfred „Manni“ Neuner entstand innerhalb von einer Woche im oberfränkischen Tonstudio Hiltpoltstein das Erstlingswerk von The Cöln. Diese auf CD 1 erstmals veröffentlichten „Hiltpoltstein-Aufnahmen“ lassen erkennen, wieviel Talent in den „Cölnern“ schlummerte. Es sind bislang unveröffentlichte Aufnahmen, die an Dynamik, Vitalität und Direktheit später selten übertroffen wurden. Mit der Ende 2019 neu gemasterten Fassung beginnt folgerichtig die 1. CD dieser Sammlung. Manni Neuner, der damalige Toningenieur, verabschiedete die Band mit der Prognose: „In einer Woche habt ihr einen Plattenvertrag“. Er behielt leider Unrecht.

Die Erwartung der Band, mit neuem Management und den fertigen Hiltpoltstein-Aufnahmen ein Label oder einen Musikverlag zu finden, erfüllte sich in der Folgezeit nicht. Die Band tourte seit Anfang 1980 mit einer beachtlichen Schlagzahl, erweiterte kontinuierlich ihr Repertoire und festigte ihr Image als angesagter deutscher Live-Act mit internationalem Anspruch.

Auch die Teilnahme an pressewirksamen Konzerten und Festivals wie etwa mit The Stripes (feat. Gabriele „Nena“ Kerner) auf einem New Wave-Festival in der legendären Hamburger „Fabrik“, mit Auftritten im Vorprogramm von Judas Priest oder Eric Burdon änderten nichts am Desinteresse deutscher Plattenbosse.

Im November 1980, acht Monate nach den Hiltpoltstein-Aufnahmen, stand Berlin auf dem Tourplan, mit Gigs im Metropol und in der Music Hall, einem legendären Punk- und New Wave-Tempel. Begleitet wurde die Band von Adrian Wellmann, einem mit Dirk Schlömer befreundeten Fotografen und Redakteur des Fachblatt Musikmagazins, einst das führende Musikermagazin in Deutschland. Wellmann hatte einige Musikkassetten mit Einreichungen zum aktuellen Fachblatt-Talentwettbewerb im Gepäck. In Begleitung von Dirk Schlömer brachte er die Tapes zu Paragon, ehemaliges Studio der Berliner Electronic-Rock-Pioniere Tangerine Dream, mit angeschlossener Musikverlags- und Produktionsfirma – direkt gegenüber der Music Hall. Die mitgebrachten Talent-Tapes wurden schnell durchgehört. Als Zugabe gab es die Hiltpoltstein-Tapes. Schon beim 2. Stück sprang der Funke über – mit dem Resultat, dass Paragon-Chef Horst Müller am selben Abend spontan das Cöln-Konzert in der Music Hall besuchte. Nach dem Konzert nahm Müller den Fachblatt-Redakteur zur Seite: „Bring mir die Jungs sofort morgen ins Studio!“

Bereits am nächsten Tag wurde ein Management-Wechsel zu Paragon und eine dreiwöchige Studio-Produktion vereinbart. Horst Müller hatte es bei Paragon bereits geschafft, Plattenverträge für mehrere Künstler von diversen seinerzeit in Deutschland neu gegründeten New Wave-Labeln zu verschaffen. Für The Cöln schien der Durchbruch greifbar nah zu sein.

Paragon gelang es in den Folgemonaten jedoch ebenfalls nicht, einen Plattenvertrag für The Cöln zu akquirieren. Über ein Jahr blieb auch diese neue Produktion unveröffentlicht, bis schließlich 1982 – bereits nach Auflösung der Band – der Hamburger Musikverleger und Label-Inhaber Wolfgang Beecken die Aufnahmen auf den Tisch bekam. Ein Special Deal sorgte dann immerhin für die Veröffentlichung der Paragon-Aufnahmen als LP unter dem Titel „THE CÖLN – Cöln“ auf dem Label rock-trend | TELEX RECORDS im Vertrieb der Kölner EMI Electrola (ASD).

Im Nachhinein ist es interessant, das Paragon-Album mit den frühen Hiltpoltstein-Aufnahmen zu vergleichen, von denen zwar acht der jeweils elf Songs identisch sind, man in dieser neuen Produktion aber unterschiedliche Soundbilder und mehr Overdubs entdeckt. Direkt zu Beginn verblüfft die Band mit zwei neuen Stücken, dem hymnischen „You Got No Right“, das auch der Feder von Bruce Springsteen hätte entspringen können, sowie der traurig-schönen Ballade „I Can´t Let You Go“. Beide Songs dokumentieren, wie auch die späteren neuen Live-Kompositionen aus dem Siegener Konzert (CD 3), einen Hang zum klassischen Rocksong. Gleichzeitig wirkt die Produktion im Vergleich zu den rauen, ungeschliffeneren Hiltpoltstein-Fassungen poppiger und kommerzieller, wie zum Beispiel ein Vergleich der beiden Versionen von „Little Lady“ belegt.

Sänger Carsten Seim hatte The Cöln bereits wenige Monate nach der intensiven Berliner Zeit im Paragon-Studio verlassen. Dirk Schlömer übernahm jetzt den Gesangspart. Und er komponierte und textete intensiv weiter. Die nunmehr vierköpfige Band gab bis Herbst 1981 weiterhin Konzerte. Sieben neue Songs aus dieser Zeit sind auf CD 3 im Mitschnitt eines Live-Konzerts in Siegen im Sommer 1981 dokumentiert. Aber als Dirk Schlömer dann im Herbst 1981 The Cöln verließ, um mit dem Berliner Sänger Peter Deininger das Duo „Spiegelsplitter“ zu gründen, fiel die Band endgültig auseinander.

Am Trend vorbei

Gibt es rückblickend eine plausible Erklärung für die Zurückhaltung der großen wie auch der spezialisierten Label Anfang der 80er-Jahre, die Aufnahmen von The Cöln zu veröffentlichen? Aus heutiger Sicht gibt es nur eine schlüssige Antwort: The Cöln hat aufgrund ihrer schon im Bandnamen dokumentierten internationalen Ambitionen einfach gegen den Zeitgeist nicht auf Deutsch gesungen, im Gegensatz zu den Stars der Kölner Rockszene wie BAP, Schroeder Roadshow (mit Gerd Köster) oder Jürgen Zeltinger. Bundesweit galt schon 1981: German first. Die New Wave-Bewegung fand in Deutschland auf dem Höhepunkt der Band-Karriere von The Cöln längst als „Neue Deutsche Welle“ (NDW) statt mit Protagonisten wie Ideal, Nena, Extrabreit, Fehlfarben, DAF, Trio oder Joachim Witt. Und unterstreicht nicht auch Schlömers musikalische Karriere mit diversen Plattenverträgen für seine nächsten Bands „Spiegelsplitter“, „Zikato“ sowie sein langjähriges Engagement als Gitarrist von „Ton, Steine Scherben“, was in Deutschland der 80iger- und 90iger-Jahre angesagt war?

Und wie sieht mit Abstand nun ein Fazit zu der Geschichte von The Cöln aus? Sie waren zweifellos die richtige Band zur falschen Zeit und mit Köln vermutlich auch am falschen Ort. Gleichzeitig stellt sich damit die Frage, wie nachhaltig die Songqualität der Band über die New Wave-Epoche hinaus ist?

Persönlicher Kommentar

Mangels einer zeitnahen Veröffentlichung der Hiltpoltstein-Aufnahmen kann ich als Fan der ersten Stunde nur mit einer persönlichen Einschätzung abschließen: Für mich war die Zeit des New Wave zwar die musikalisch prägendste Musikepoche, doch verfolge ich bis heute nur ausgewählte Musiker und Werke. Jedoch lebe ich seit 40 Jahren mit den alten Aufnahmen von The Cöln! Man kann sie immer wieder hören, sie nutzen sich nicht ab. Als dann der Kölner Verleger Frank Steffan 2015 für seine preisgekrönten Filmproduktionen über den Kölner Fußball-Weltmeister Heinz Flohe und den Double-Gewinn des 1. FC Köln Dirk Schlömer zur Reanimation des Titels Leavin‘ Town bewegte, lag bereits eine Neuauflage von The Cöln in der Luft.

Als Dirk Schlömer mir schließlich vor anderthalb Jahren eine neue, brilliant gemasterte Version des Hiltpoltstein-Albums zukommen ließ, wurde mir erneut klar: Die Rocksongs von The Cöln sind in ihrer musikalischen Qualität geradezu zeitlos und keineswegs eine Eintagsfliege des New Wave!

Und genau aus diesem Grund war meine Motivation für die vorliegende CD-Edition von Beginn an klar: The Cöln darf in der deutschen und Kölner Rockgeschichte nicht vergessen werden! Mit dieser Veröffentlichung ihres Gesamtwerks soll die Bedeutung der Band für die Musikszene hervorgehoben und gewürdigt werden. Und wer weiß: Vielleicht ergibt sich ja eine zweite Chance.

Wolfram Peters
Köln im März 2020